Steuerfreiheit der Umsätze einer selbstständigen Musiklehrerin nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSyst-Richtlinie 2006/112/EG

Geigenspielerin
FG Berlin – Brandenburg v. 26.03.2013 – 7 V 7361 / 12

Steuerfreiheit der Umsätze einer selbstständigen Musiklehrerin nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSyst-Richtlinie 2006/112/EG

Leitsatz
1. Die im Rahmen einer Franchising-Vereinbarung als Einzelunternehmerin eine Musikschule betreibende Erzieherin kann sich für die Umsatzsteuerfreiheit ihrer Umsätze auf die für Privatlehrer geltende Vorschrift des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG berufen.
2. Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht” i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL beschränkt sich nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben.

Gesetze: UStG § 4 Nr. 21 Richtlinie 2006/112/ EG Art. 132 Abs. 1 Buchst. j FGO § 69 Abs. 2 S. 2 FGO § 69 Abs. 3 S. 1
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig

Tatbestand

Gründe:
Die Beteiligten streiten darum, ob die Umsätze der Antragstellerin nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j Mehrwertsteuersystemrichtlinie – MwStSystemRL – von der Umsatzsteuer befreit sind.
Die Antragstellerin ist ausgebildete Erzieherin und hat eine Prüfung im Akkordeon-Lehrer-Verband bei der Musikschule B. abgelegt. An den durch diese Musikschule angebotenen Fortbildungsveranstaltungen nimmt sie regelmäßig teil.
Im Rahmen einer Franchising-Vereinbarung mit der Musikschule B. betreibt die Antragstellerin als Einzelunternehmerin eine Musikschule, indem sie in angemieteten Schulräumen erste melodische Ausbildungen für kleine Kinder und Musikunterricht, der auch auf Musikprüfungen vorbereitet, durchführt.
Für die Jahre 2009 und 2010 reichte die Antragstellerin Umsatzsteuererklärungen ein, in denen sie steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 35.329 EUR bzw. 33.992 EUR erklärte. Für die streitigen Voranmeldungszeiträume meldete sie ausgehend von steuerfreien Umsätzen Vorauszahlungen in Höhe von jeweils 0 EUR an. Auf Anfrage des Antragsgegners erläuterte sie, dass sie unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL ihre Umsätze als Musiklehrerin als die einer Privatlehrerin für steuerfrei halte.
Der Antragsgegner folgte dem nicht und erließ am 23.11.2012 Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. bis III. Quartal 2012, mit denen er die Umsatzsteuer auf 963,93 EUR, 1.194,71 EUR und 1.262,82 EUR (zusammen: 3.421,46 EUR) festsetzte.
Dagegen legte die Antragstellerin am 29.11.2012 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Der Antragsgegner lehnte den Aussetzungsantrag am 17. 12 .2012 ab. Der Einspruch ist nach Aktenlage nach wie vor anhängig.
Am 21. 12 .2012 hat die Antragstellerin einen Antrag nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO – gestellt. Sie macht geltend, sie kontrahiere unmittelbar mit ihren Schülern, denen sie die streitigen Unterrichtsleistungen erbringe. Der Begriff des Privatlehrers setze keine Hochschulausbildung voraus, so dass sie auch die erforderlichen Qualifikationen aufweise. Dem entsprechend sei sie nach der einschlägigen Rechtsprechung Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL, auf den sie sich berufe.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. bis III. Quartal 2012 vom 23.11.2012 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält den Antrag für unbegründet, da die Antragstellerin keine Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL sei. Denn nicht sie, sondern die Musikschule B. sei Trägerin der Einrichtung des Unterrichtsangebots. Es bestünden keine Rechtsbeziehungen zwischen der Antragstellerin und den einzelnen Schülern.
Dem Gericht haben je eine Einkommensteuer-, Umsatzsteuer-, Bilanz- und Rechtsbehelfsakte vorgelegen, die vom Antragsgegner für die Antragstellerin unter der Steuer-Nr. … geführt werden.

Gründe
Der Antrag ist begründet.
Es bestehen i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH– vom 10.02.1967 III B 9/66, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 87, 447, BStBl 1967 III S. 182; Beschluss vom 07.09.2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH, Beschluss vom 22.03.2005 II B 14/04, BFH/NV 2005, 1379 m.w.N.). Zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH, Beschluss vom 07.09.2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590). Wie im Hauptsacheverfahren gelten auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich die Regeln über die objektive Feststellungslast mit der Folge, dass die Beteiligten entscheidungserhebliche Einwendungen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten darlegen und ggf. glaubhaft machen müssen (BFH, Beschluss vom 26.08.2004 V B 243/03, BFH/NV 2005, 255).
Im Streitfall sind sich die Beteiligten zu Recht einig darüber, dass die Umsätze der Antragstellerin nicht die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 21 Umsatzsteuergesetz – UStG – aufweisen. Jedoch beruft sich die Antragstellerin mit Erfolg auf die Steuerfreistellung von Unterrichtsleistungen durch Privatlehrer gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL, die durch den nationalen Gesetzgeber nicht ausreichend umgesetzt worden ist. Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht von der Umsatzsteuer. Die Antragstellerin erteilt bei summarischer Prüfung i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL als Privatlehrerin Schulunterricht.
Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht” i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL beschränkt sich nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben (Gerichtshof der Europäischen Union, Urteile vom 14.06.2007 C-445/05 – Haderer, Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2007, 592, Rz 26; vom 28.01.2010 C-473/08 – Eulitz GbR, UR 2010, 174, Rz 30). Dazu ist es nicht erforderlich, dass der Unterricht in einen organisatorischen Rahmen eingebunden ist, der letztlich zu einem Ausbildungsabschluss führt (vgl. BFH, Urteil vom 10.01.2008 V R 52/06, BFHE 221, 295, UR 2008, 276).
Bei summarischer Prüfung hat das Gericht keine Zweifel daran, dass der von der Antragstellerin erteilte Unterricht geeignet ist, die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler zu entwickeln. Denn Musikunterricht gehört zu den klassischen Schulfächern und kann letztlich Grundlage für eine Berufsausbildung als Musiker oder Musiklehrer sein. Es kommt nicht darauf an, ob Schüler der Antragstellerin die letztgenannten Ziele tatsächlich verfolgen (BFH, Urteil vom 24.01.2008 V R 3/05, BFHE 221, 302, BStBl II 2012, 267). Daher stellt der Musikunterricht auch keine bloße Freizeitgestaltung dar. Dem entsprechend hat auch der BFH Musikschulunterricht als Schulunterricht angesehen (BFH, Urteil vom 20.08.2009 V R 25/08, BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15).
Die Antragstellerin war Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystemRL. Der Begriff des Privatlehrers setzt keinen bestimmten Ausbildungsgang voraus. Das Gericht verweist insoweit auf die Urteile des Finanzgerichts – FG – Hamburg vom 16.06.2011 6 K 165/10 (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2012, 560) und des Niedersächsischen FG vom 19. 12 .2011 5 K 370/11 (EFG 2012, 882), denen es folgt. Da die Antragstellerin ausgebildete Erzieherin ist, verfügte sie über die für ihren Schülerkreis erforderlichen pädagogischen Fähigkeiten. Durch die von der Musikschule B. angebotenen Fortbildungen hatte sie nach Aktenlage die erforderlichen musikalischen Fachkenntnisse erworben. Sie hat den Unterricht nach Aktenlage in eigener Person erbracht.
Schließlich stand die Antragstellerin nach summarischer Prüfung auch – wie erforderlich (vgl. EuGH, Urteil vom 28.01.2010 C-473/08 – Eulitz GbR, UR 2010, 174, Rz 48 ff.) – in unmittelbaren Rechtsbeziehungen zu den von ihr unterrichteten Schülern. Das Gericht hält den dahin gehenden Vortrag der Antragstellerin für glaubhaft, da dies die bei Franchisingmodellen übliche Gestaltung ist. Der Franchisenehmer erwirbt typischerweise das Recht, eine eingeführte Marke und gewisse Serviceleistungen nutzen zu dürfen, erbringt die Leistungen an den Endkunden aber im eigenen Namen (vgl. Müller, UR 2008, 365 [366]; Weimann, Umsatzsteuer-Berater – UStB – 2008, 267). Daran hat der Franchisegeber ein ausgeprägtes Interesse, weil auf diese Weise das Akquisitions- und Beitreibungsrisiko beim Franchisenehmer liegt. Der Antragsgegner hat keine Anhaltspunkte mitgeteilt, weshalb es sich im Streitfall anders verhalten soll. Auch aus den vorliegenden Akten ergeben sich solche Anhaltspunkte nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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